Tschernobyl – Urbex in der Sperrzone


For English Readers: See Translation at the end of the blog.

Oktober 2018

Die Reise nach Tschernobyl startete sehr früh vom Bahnhof in Kiew. Bei noch sehr frischen Temperaturen waren wir froh die rund nächsten 2h noch im Bus verbringen zu dürfen. Während der Anfahrt bekamen wir viele Infos über die Nuklearkatastrophe und deren Auswirkungen in der Ukraine selbst, aber auch im schwer betroffenen Belarus. Desweiteren bekamen wir auch schon unseren Dosimeter für die Entdeckung. Entlang der Straße P56 Richtung Tschernobyl passierten wir zum Teil total überwucherte und verlassene Dörfer. Insgesamt wurden nach der Katastrophe über 350000 Menschen evakuiert und ein Großteil der Menschen durften ihre Städte/Dörfer nie wieder betreten.

Am Eingang zur offiziellen Sperrzone (kurz nach Orane) stoppten wir für die Reisepass und Dokumentenkontrolle. Wir wurden schon von einer Gruppe von Straßenhunden erwartet. Auch wenn der Dosimeter keine Erhöhung anzeigte, unterlies ich es trotzdem die Hunde nicht zu streicheln wie so manch ein Tourgast. Randinfo: Liquidatoren versuchten kurz nach der Katastrophe alle Haus und Nütztiere in der Zone zu töten. Einige konnten sich aber verstecken oder fliehen und konnten sich daher vermehren. Es kommt aber immer wieder vor, dass diese Straßenhunde im Winter von Wölfen gefressen werden. Eins zeigt sich schon kurz nach betreten der Sperrzone, die Natur und Tierwelt hat keine Probleme sich an die Strahlung zu gewöhnen. Daher wurde Jahre nach der Katastrophe ein riesiges Naturschutzgebiet erschaffen, dass sich insbesonders auf belarussischer Seite ausdehnt.

Hund in der Sperrzone

Nachdem wir unkompliziert in die Sperrzone gelangten, besuchten wir eines von vielen verlassenen Dörfern. Doch schnell wurde klar, dass einige Häuser vor kurzem noch bewohnt waren. Viele, gerade alte Leute, wiedersetzten sich dem Befehl der Regierung oder kamen später geheim wieder zu ihren Häusern. Eine unsichtbare Gefahr, wie Strahlung, war für viele Einwohner die noch Revolutionen, NS Besatzung und den kalten Krieg und die ganze Tragik erleben durften eine nicht ernst zu nehmende Bedrohung.

Als wir durch dieses eine verlassene Dorf spazierten spürte ich die innerliche Anspannung. Eine gewisse Ruhe lage über diesen Dorf, vereinzelt hörte man das knirschen des Holzes oder das Flüstern des Windes. Den Dosimeter dicht an mir, beobachtete ich immer wieder die Anzeige am Display…0.2 µSv/H. Gut der Wert lässt mich nicht erschrecken denke ich mir. Nicht mehr Hintergrundstrahlung als bei mir in meiner Region. Wenn ich in diesem Blog von Strahlung spreche dann meine ich die gamma Strahlung. Weiter ging der Weg vorbei an verlassenen Autos, einer Versammlungshalle. An der Symbolik der Häuser und alten Schriftzügen erkannte man den Stillstand der Zeit.

Nun nun ging es wieder in den Bus und wir passierten auf der Weiterreise die Stadt Tschernobyl. Es gab einen kurzen halt, da es Probleme mit den Dokumenten gab. In der Zwischenzeit konnte ich wohl eine der letzten Leninstatuen der Ukraine (die nicht durch die Oktoberrevolution zerstört wurde) begutachten. Das Kernkraftwerk hieß übrigens bis zum Ende der UDSSR: „Tschernobyler Atomkraftwerk namens W. I. Lenin„.

Lenin

Nach kurzen Warten gab es grünes Licht für die Weiterreise und es ging nun weiter Richtung Duga Radar. Duga war ein Teil des sowjetischen Raketenabwehrsystems, auf Karten als Kindergarten eingezeichnet, verursachte es (das Signal) bei den westlichen Geheimdiensten einiges an Kopfzerbrechen. So war über Jahre hinweg ein Klopfen (deswegen auch die Bezeichnung „Specht“) in den heimischen Radioempfangsgeräten zu hören. Erst nach der Katastrophe 1986 wurde die wirkliche Funktion des „Duga Kindergartens“ bekannt und somit für die UDSSR nicht mehr einsatzfähig. Ein Teil der Sendeanlage wurde abgebaut und in der UDSSR wieder errichtet.

Nach einer holprigen fahrt zurück Richtung Prypjat, stoppten wir in der ehemaligen Stadt Kopachi. Eine Stadt erkannte ich nicht mehr, nur mehr ein paar vereinzelte verfallene Häuser und ein Kinderheim. Kopachi war ein Testobjekt, nach der Katastrophe hat man fast die ganze Stadt den Erdboben gleichgemacht. Leider hat es die Strahlung nur begünstigt und auch wir haben neben dem roten Wald die höchste Strahlung in diesem Gebiet gemessen. Viele der Objekte in dem Kinderheim wurden durch Stalker ( Personen, die sich ohne Dokumente in die Sperrzone schleichen und versuchen unentdeckt nach Pripjat zu gelangen. Der Name Stalker ist eine Anlehnung an das PC Spiel S.T.A.L.K.E.R, in dem man einen Protagonisten durch die verstrahlte Welt von Tschernobyl begleitet und gegen Monster kämpfen muss) verändert. So war dies doch ein beklemmender Ort, wie in dem unbekannten Dorf davor, Stille, nur das ticken des Dosimeters (Obwohl der Dosimeter kurzzeitig eine erhöhte Strahlung von 20 µSv/h anzeigte, noch keine Unruhe) und das Knirschen des alten Holzbodens.

Da die Zeit auf dieser Tour ein großes Problem (2 Tagestour sicher eine bessere Option) ist, mussten wir diesen unangenehmen Ort wieder verlassen und machten uns nun auf den Weg Richtung des Kernkraftwerks. Kurz konnten wir einen Blick auf den neuen Sarkophag und dem Kraftwerk erhaschen bevor es einen Pausenstopp bei der örtlichen Betriebskantine gab. Nach fleißigen Händewaschen und Kontrolle mittels Dosimeter gab es leckeren Borschtsch. Natürlich nur mit Produkten außerhalb der Zone (Hoffentlich o.O).

Nach dem kräftigenden Essen war es nun so weit. Wir standen vor dem neuen Sarkophag, der wie eine schützende Hand eine der größten Katastrophen der Menschheitsgeschichte verdecken zu versuchte. Unser Dosimeter zeigte eine Strahlung von 1,3 µSv/h an. Wir alle kennen die Bilder von dem zerstörten Reaktorblock 4. Doch nun davorzustehen, was für ein komisches Gefühl. Die Strahlung ist übrigens seit dem Bau des neuen Sarkophag rund um das Reaktorgelände von rund 2-3 µSv/h auf nun 1-2 µSv/h gesunken. Es gibt seit neuesten auch Touren, die nun auch die Möglichkeit bieten den Reaktorkontrollraum zu besuchen. Für mich reichte der gespenstische Eindruck nur wenige Meter vor dem Reaktor zu stehen vollkommen aus.

Anschließend ging es weiter in die Stadt Prypjat und wenn Leute heut zutage von Tschernobyl sprechen, dann meinen sie meistens diese Stadt. Prypjat war eine Vorzeigestadt und ein Prestige Projekt in der UDSSR. Es mangelte der Bevölkerung nicht an Lebensmitteln jeglicher Art (dies war in der UDSSR in vielen Städten nicht Normalität). Jedes Wohnhaus verfügte über einen Swimming Pool, es gab riesige Parkanlagen und Cafes, Kinos etc. um die Mitarbeiter des Kernkraftwerkes, der militärischen Anlagen, aber auch deren Familienmitglieder bei Laune zu halten. Heute ist von diesem Glanz vergangener Zeit (leider auch durch Vandalismus) nicht viel übrig. Vereinzelt erkennt man diese Zeit noch an alten Fassaden und Fenstern im klassischen Stil des sozialistischen Realismus.

Natürlich durfte der Vergnügungspark mit dem nie in Betrieb gegangen Riesenrad nicht fehlen. Vor allem das Riesenrad ist Zeichen dieser Katastrophe. Für mich war es aber nicht dieses Riesenrad, das mich beeindruckte und auch bestürzte, sondern die vielen Alltagsgegenstände die nach wie vor in der Zone verstreut herumliegen. All diese Gegenstände gehörten Menschen, mit ihren Hoffnungen und Problemen die plötzlich aus dem nichts ihre Existenz verloren. (Die Evakuierung kam unerwartet und man erklärte den Einwohnern es handle sich nur um eine Übung und sie dürfen bald wieder in ihre Wohnungen).

Anschließend näherte sich das Ende unserer Reise. Es ging nun zurück nach Kiew. Am Abschluss bescherte uns der Geigerzähler bei der Fahrt durch den roten Wald noch einen schnellen Pulsschlag. Der rote Wald war eines der am schlimmsten betroffenen Gebiete in der Region und erhielt seinen Namen von allen den toten Bäumen. Der Wert sprang über 80 µSv/h!! im Auto. Wenige Sekunden später war der Spuk aber schon wieder vorbei und wir passierten sicher die erste Strahlenkontrolle am Weg aus der Sperrzone. Die Reise ist übrigens ziemlich sicher wenn man sich an die Regeln hält. Die Strahlung, der man ausgesetzt ist, ist wahrscheinlich die gleiche wie ein Flug von einer europäischen Stadt nach Kiew. Also kein Grund zur Sorge.

Fazit: Ein sehr emotionaler Ausflug in eine surreale Welt. Mir wurde klar, dass die Natur und auch die Tierwelt keine Probleme damit haben sich in wenigen Jahren an solch eine Katastrophe zu gewöhnen. Wir Menschen jedoch verlieren alles. Als Abschluss möchte ich noch wenigen Zeilen den wirklichen Helden dieser Katastrophe widmen. Den hundert tausenden Liquidatoren. Sei es die ersten Feuerwehrleute die zu dieser Katastrophe eintrafen und nicht wussten was genau passierte, oder auch den Bergleuten die versuchten das heiße und radioaktive Kühlwasser aufzuhalten.

„To be a scientist is to be naive. We are so focused on our search for truth we fail to consider how few actually want us to find it. But it is always there whether we see it or not, whether we choose to or not. The truth doesn’t care about our needs or wants – it doesn’t care about our governments, our ideologies, our religions – to lie in wait for all time. This at last is the gift of Chernobyl. Where I once would fear the cost of truth, now I only ask what is the cost of lies“

Valery Legasov

—————— „English Translation“ ——————-


The trip to Chernobyl with Chernobylwelcome started very early from the Kiev train station. Duo to low morning temperatures, we were happy to be able to spend the next 2 hours on the bus. During the journey we got a lot of information about the nuclear disaster and its effects on ukraine/belarus and europe. Furthermore, we already got our dosimeter for the journey. Along the road P56 towards Chernobyl, we passed partly overgrown and deserted villages. In total, over 350,000 people were evacuated after the disaster and a large number of people were never allowed to enter their towns / villages again.
We stopped at the entrance to the official restricted area (shortly after the VIllage Orane) for passport and document control. We were already expected by a group of street dogs. Even if the dosimeter showed no increase, I still did not stroke the dogs like some tour guests. Shortly after the disaster, liquidators tried to kill all domestic and beneficial animals in the zone. However, some were able to hide or flee and could therefore multiply without restrictions. In winter it can happen that these street dogs are eaten by wolves. One thing shows up shortly after entering the exclusion zone, nature and wildlife have no problems getting used to the radiation. Therefore since years after the catastrophe a huge nature reserve was created, especially on the Belarusian side.

After we easily got into the exclusion zone, we visited one of many abandoned villages. But it quickly became clear that some houses were still inhabited recently. Many, especially old people, rejected the government’s order or later secretly returned to their homes. An invisible danger, like radiation, was for many residents who were still experiencing revolutions, Nazi occupation and the cold war and the whole tragedy, a threat that was not to be taken seriously.
When we walked through this abandoned village I felt the inner tension. A certain calm lay over this village, occasionally one heard the crunch of the wood or the whisper of the wind. The dosimeter close to me, I kept watching the display … 0.2 µSv / H. Well the value was not scary. Not more than background radiation in my region. The path continued past abandoned cars, a meeting hall. The standstill of time was recognized by the symbolism of the houses and old letters.

Now we got back on the bus and we passed by the city of Chernobyl on our onward journey. There was a short stop as there were problems with the documents. In the meantime I was able to examine one of the last Lenin statues in Ukraine (which was not destroyed by the October Revolution). By the way, until the end of the USSR, the nuclear power plant was called: „Chernobyl nuclear power plant called W. I. Lenin“.

Shortly after we got green light to move onward our journey and we continued towards Duga Radar. Duga was part of the Soviet missile defense system, drawn on maps as a kindergarten, it caused (especially the signal) quite a bit of a headache for the western secret services. For years, there was a knocking (hence the name „woodpecker“) in the radio receivers at home. It was only after the catastrophe in 1986 that the real function of the „Duga Kindergarten“ became known and therefore no longer operational for the USSR. Part of the transmitter was dismantled and rebuilt in the USSR later on.

After a bumpy drive back towards Prypjat, we stopped in the former city of Kopachi. I no longer recognized a city, just a few scattered houses and a children’s home. Kopachi was a test object, after the catastrophe almost the entire city was razed. Unfortunately, it only favored the radiation and we also measured the highest radiation in this area in addition to the red forest. Many of the objects in the children’s home were created by stalkers (people who sneak into the restricted area without documents and try to get to Pripyat undetected. The name Stalker is a reference to the PC game STALKER, in which one accompanies a protagonist through the contaminated world of Chernobyl and must fight against monsters) changed. So this was an oppressive place, as in the unknown village before, silence, only the ticking of the dosimeter (although the dosimeter briefly showed an increased radiation of 20 µSv / h, no unrest yet) and the crunching of the old wooden floor.

Since the time on this tour is a big problem (2 day tour is definitely a better option), we had to leave this unpleasant place again and now we went towards the nuclear power plant. We were able to catch a glimpse of the new sarcophagus and the power plant before there was a break at the local company canteen. After diligent hand washing and checking with a dosimeter, there was delicious borscht. Of course, only with products outside the zone (I hope of course above).
After the meal, we stood in front of the new sarcophagus, which, like a protective hand, tried to hide one of the greatest catastrophes in human history. Our dosimeter showed radiation of 1.3 µSv / h. We all know the pictures of the destroyed reactor block 4. But standing in front of it, what a strange feeling. Actually, since the construction of the new sarcophagus around the reactor site, the radiation has dropped from around 2-3 µSv / h to now 1-2 µSv / h. The latest tours have also been launched and now offer the opportunity to visit the reactor control room. For me, the ghostly impression of being just a few meters from the reactor was enough.

Then we went on to the city of Prypiat and when people speak of Chernobyl today, they mostly mean this city. Prypjat was a model city and prestige project in the USSR. The population did not lack food of any kind (this was not normal in many cities in the USSR). Each house had a swimming pool, there were huge parks and cafes, cinemas etc. to keep the employees of the nuclear power plant, the military facilities, but also their family members happy. Today there is not much left of this glory of the past (unfortunately also due to vandalism). Occasionally you can still recognize this time by old facades and windows in the classic style of socialist realism.
Of course, the amusement park with the Ferris wheel that never went into operation could not be missing. The Ferris wheel in particular is a sign of this catastrophe. For me it was not this ferris wheel that impressed and dismayed me, but the many everyday objects that are still scattered around the zone. All these objects belonged to people, with their hopes and problems that suddenly lost their existence out of nowhere. (The evacuation came unexpectedly and the residents were told that it was just an exercise and they would soon be allowed to go back to their homes).

Time was moving by so fast and therefore our departure was approaching. We now went back to Kiev on a 2 hour drive. At the end the Geiger counter gave us a quick pulse as we drove through the red forest. The red forest was on of the worst effected areas in the region and it got its name during all the dead trees. The value jumped over 80 µSv / h in the car. A few seconds later, the spook was over and we safely passed the first radiation control on the way out of the restricted area. The trip is totally safe when you stick to the rules. The radiation you will encounter is probably the same as a flight from a european city to kiew. Conclusion: A very emotional excursion into a surreal world. It became clear to me that nature and the animal world have no problems getting used to such a disaster in a few years. However, we humans lose everything. So no need to worries. Finally, I would like to dedicate a few lines to the real heroes of this catastrophe. The hundreds of thousands of liquidators. Be it the first firefighters who came to this disaster and did not know what exactly happened, or the miners who tried to stop the hot and radioactive cooling water.

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  1. Kimiya sagt:

    On one side it’s like a time travel that Gama radiation make it exiting but the other side is the emotional side that is much more impressive especially for those who’d seen the movie.

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